Hackuna Mettata: Lest die Geschichten!

Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!


Johanna Ernst:

Es ist Sommer, 30 Grad, die Luft steht. Ich wache auf. Mein Bauch füllt sich mit Freunde.

Erst das rechte, dann das linke Bein. Ich muss rülpsen. Hach, ein feiner Biergeschmack schleicht meine Atemwege hinauf. Die Kohlensäure- jetzt schon 12 Stunden in meinem Körper, entfaltet jetzt die volle Wonne in meiner Nase. Es kribbelt herrlich. Da sitze ich auf der Bettkante. Ich blicke rüber, Lisa schläft noch. Ihre Haare zerzaust, ihr Hochsteckfrisur von gestern noch leicht zu erahnen. Ich schaue an mir herunter. Das Feinripp sieht gar nicht so schlecht aus. Nur ein Pommes Schranke Fleck ziehrt es bisher. Ach da, noch etwas. Ein Eigelb vom Eierbacken. Ich blicke zu Lisa. Ihre Waschkünste bekommen das schon wieder hin. Ein Hoch auf ihre Geilseife, wie ich das Wunderzeug immer liebevoll nenne. Und Hop. Ich springe auf. Noch ein Rülps geht wieder sehr lieblich durch meine Nase. Es ist Sommer, die Luft steht im Raum, mein Bauch ist voller Freude. Der erste Schritt zum Fenster ist gemacht. Unsere 3 Zimmer Wohnung über dem kleinen Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin und welches ich wohl erstmal nicht verlassen werde, lässt einen Blick zum nächsten Dorf zu. Ich öffne das Fenster und nehme einen tiefen Atemzug. Zuckerwatte, gebrannte Mandeln. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Mhhhh, dieser Geruch und die Freude im Bauch, einmal im Jahr. Einmal im Jahr, ein Wochenende, an dem man alles vergessen kann. Was auf Arbeit ist, den Stress in der Beziehung… meine Gedanken werden unterbrochen: „ Wer will nochmal, wer hat noch nicht?! Eine Runde rückwärts.“  Ich öffne die Augen und muss lächeln, denn alles erinnert mich daran, dass das Wochenende der Wochenenden ist. Es ist Schützenfest. Jede Zelle meines Körpers freut sich darüber. Ich bin 30 Jahre alt, Lisa wird wohl bei mir bleiben, wenn ich alles in‘ Griff bekomme. Meine Arbeit ist sicher, zumindest, wenn man erstmal nicht davon ausgeht, dass sowas wie Corona nochmal kommen wird. Heute ist der Tage der Tage. Ich werde Schützenkönig. Ich sehe es schon bildlich vor mir. Meine Lisa im zartrosa Kleid, ich als stolzer König daneben. Heinz und Marianne werden Tränen in den Augen haben. Wir werden das schönste Paar der Stadt sein. Unseren Kindern werden wir davon erzählen. Verewigen werden wir es. Bei Ullas Fotoshop werden wir Bilder haben, die um die Welt gehen werden. Onkel Joe, dem wollte ich auf jeden Fall eins in die Staaten schicken… Es ist Sommer, ich bin im besten Alter, Lisa ist noch nicht schwanger. Ich kann es schaffen. Ich schaffe es.

Freudig schlüpfe ich in meine weiße Uniform. Ich sehe den hölzernen Vogel klar vor meinen Augen. Ich ziele, und Peng, Nummer eins. Peng, Nummer zwei. Er wackelt und ich auch etwas. Peng, Nummer drei. Er fliegt fest auf den Boden. Er wird Lisas Lieblingsblumen tragen. Rote Gerbera. Ich bin Schützenkönig und sie meine Königin. Der Stolz kommt in mir auf.

Hups, da ist er schon wieder der sanfte Rülps und die volle Entfaltung der Kohlensäure des Bieres in meiner Nase. Hach, ich liebe dieses Gefühl. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 10 vor 9. Bis zur Schützenhalle sind es 5 Minuten zu Fuß. Lisa hat es gut, die kann schlafen, bis ich den Vogel runtergeholt habe.

Jetzt aber los, es wird Zeit. Schützenfrühstück ist schon dran. Das letzte Bier ist auch schon ne Weile her. Nachtanken, das muss jetzt sein. 10 Minuten später stehe ich in der Halle Patrick begrüßt mch. Er weiß von meinem Plan : „Den machste wech, Jan. Wenn nicht du, wer denn dann?“ „Jau!“ sage ich und grinse.

Gemeinsam betreten wir den Raum des Frühstücks. 10 Mettigel und 50 Buletten, 50 Männer sitzen am Tisch. Wir sind spät dran. Manfred eröffnet das Buffet, er prostet uns von der Seite zu:

„Liebe Schützenbrüder. Schön, dass ihr eure Pflicht erfüllt. Ich möchte das 888 Schützenfest unseres Ortes Borens mit dem traditionellen Schützenfrühstücksritual eröffnen. Hackuna Mettata. Diesen Spruch sach ich gern. Hackuna Mettata, gilt es stets als modern. Mit Mett bleiben uns die Sorgen immer fern. Keiner nimmt uns die Mettsolophie. Hackuna Mettata. Haut rein Jungens.“


Svenja Kück:

Sieht man sich heute in der Welt um, so kann man sich wundern. Von drinnen nach draußen geschaut scheint alles soweit in Ordnung zu sein. Im dunklen Hinterhof fliegen die gleichen dicken Tauben in die plüschigen Kiefernhecken; Spatzen sitzen im Haselstrauch; Amseln ziehen Würmer aus dem Sand.

Mich treibt es hinaus. 4 schwere Holztüren weiter trete ich in einen anderen Wedding – anders als noch vor wenigen Wochen. Menschen sehen sich unauffällig um und nur unbemerkt an und gehen zügig ihres Weges. Der Schein der Sonntagsstimmung auf dem Pekingplatz trügt, es ist merkwürdig gedrückt und die Menschen wie auf der Lauer. Ich eile im Slalom die Straße hinunter und reihe mich ein in die Schlange vorm Edeka. Die Obst- und Gemüseabteilung lasse ich hinter mir, ich strebe nach hinten zu den Kühlregalen. Dann: HACKUNA METTATA! Das Zwiebelmett ist noch da. Ich greife mir die letzten beiden Packungen; ihre Plastikummantelungen quietschen, als ich sie aus dem Regal nehme und die Kühlschranktür sanft und wie von selbst zufällt.

Auf dem Weg zurück, die Taschen voll, beginne ich leise zu überlegen. Über Ausgangssperre, Knappheit von Klopapier und Zwiebelmett; denke an überarbeitete systemrelevante Menschen und weniger relevante; an Straßen in der ersten Frühlingssonne und dunkle Hinterhöfe. Ich beeile mich, das Fleisch in die Kühlung zu tragen, der Sack fühlt sich merkwürdig schwer an. Ich befürchte kurz verfolgt zu werden.

Schon erreiche ich die erste Tür, durchquere eine nach der anderen und bringe meine zerhackten Schäfchen im Plastikmantel schließlich quietschend und unbeschadet ins Trockene. Ich beobachte, wie sie im gelb-warmen Licht des Kühlschranks unbeweglich daliegen. Bis die Tür sanft und wie von selbst zufällt.



Jens Wiesner:

So hatten sich Timon, das Erdmännchen und Pumbaa, das Warzenschwein, das nicht vorgestellt. Gesungen hatten sie, aus vollem Halse, waren sorglos ,fröhlich und frei durch die Steppe gehüpft.

Hakuna Matata – natürlich!
Hakuna Matata – wie immer!
Hakuna Matata – hier!
Hakuna Matata – da!

„Komm, Timon, lass uns mal heute etwas singen. Probier’s mal mit Gemütlichkeit, zum Beispiel, das wär doch mal was!“ hatte Pumbaa vorgeschlagen.

Aber sein Freund wollte nicht, natürlich nicht, wollte nur das singen, was er schon immer gesungen hatte.

„Aber Timon,“ hatte Pumbaa erwidert. „Eigentlich ist es doch der gleiche Song, also nicht der ganz gleiche, aber mit dem gleichen Inhalt. Nur eeendlich mal mit einem anderen Text und einer anderen Melodie und so. Mal was anderes.“

„Auf keinen Fall trällere ich das Lied von diesem grenzdebilen Bären nach“, hatte sich Timon, das Erdmännchen echauffiert. Und mit Nachdruck angefangen zu singen. Betont laut, also betont lauter als sonst. Weil unbetont laut kann man ‚Hakuna Matata‘ ja gar nicht singen.

Pumbaa war miteingestimmt, weil – das musste er ja eingestehen – catchy war der Tune ja schon, oscarnominiert sogar, wenn auch nicht oscarprämiert. Aber wer braucht schon das Lob des Kritikers, wenn er die Liebe des Publikums haben kann? Und wen – bitteschön! – hört man in diesen Tagen noch ‚Can You Feel The Love Tonight“ vor sich hin summen? Siehste, quod erat demonstrandum.   

Hakuna Matata dagegen – das ist geblieben, hat sich festgesetzt in den Köpfen der Menschheit, in den Köpfen von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen. Wie eine Zecke des Frohsinns, wie Reinhold Meßners Felshaken im Everest.

Und Hand auf’s Herz! Wessen Beine fangen bei dieser Melodie nicht zu tanzen an, zu hüpfen und zu springen? Bewegen sich wie von selbst; das Lied übernimmt die Kontrolle, erst die Füße, dann die Arme, und schließlich das Hirn.

Hakuna Matata!

Gesungen hatten sie, aus vollem Halse, waren sorglos ,fröhlich und frei umher gehüpft. Beschwingt beswingt, hatten die Sorgen über Bord geworfen und die Steppe zu ihrer Bühne gemacht.

Auftritt Timon!
Auftritt Pumbaa!

Der Dschungel braucht keine Superstars zu suchen, er hat sie schon.

Oder besser: hatte. Denn sorgenfrei durch die Steppe zu hüpfen, musizierend und tanzend, das geht nur gut, wenn man sich in einem Disney-Film befindet und die Kameras ständig auf einen gerichtet sind. Denn wenn Kinder zuschauen und ein FSK6-Rating erwünscht ist, damit auch die lieben Kleinen mit ihren kaufkräftigen Eltern in die Kinos strömen sollen, dann dürfen bestimmte unschöne Dinge halt nicht passieren.

So hatten sich unser Warzenschwein Pumbaa und unser Erdmännchen Timon in Sicherheit gewogen, berauscht am Rest-Fame vergangener Zeiten. Aber wir befinden uns eben im Jahr 2020 und nicht mehr im Jahr 1994; und der „König der Löwen“ ist lange raus aus den Kinos und die „Abenteuer mit Timon & Pumbaa“ längst auf Flohmärkten für nen Appel und n Ei zu haben. So hatten sich die Kameras des Disney-Konzerns abgewandt, hin nach Arendell, hin zu Elsa und Anna, ins frostige Reich der Eiskönigin.

Und plötzlich war das Fangnetz dagewesen, mitten im Refrain – Skandal! – hatte sie mitten im Sprung aus der Luft gecatched. Und – rumms! – saßen sie schon hinten in dem dunklen Laster. Die Türe versperrt, eingeschlossen, oh je!

„Ach Pumbaa,“ sagte Timon. „Das sind nur die Menschen. Die bringen uns jetzt sicher in einen Zoo und da werden wir lustige Abenteuer erleben und neue Freunde treffen und sie machen eine neue Netflix-Show über uns „Timon und Pumbaa – Abenteuer im Zoo“, mindestens drei Staffeln lang, so horizontal erzählt und so. Und am Ende werden wir alle gemeinsam ausbrechen – oh ja – und das große Finale, das läuft dann als Kinofilm. Und dann werden wir wieder Stars sein – ein Comeback von epischer Größe, weil Comebacks alter 90er-Helden, die sind ja so in gerade. Und dann können Elsa und Anna schon sehen, wer im Pantheon der Disney-Figuren wirklich die größten sind!

„Ich weiß nicht“, erwiderte Pumbaa und seine Stimme klang ein wenig furchtsam. „Schau mal auf das Schild da!“ Und er zeigte auf ein Schild, das im Inneren des Lasters hing.

„Metzgerei Butcher: Fleischeslust für ihren Gaumen,“ las sein Freund, das Erdmännchen, vor und plötzlich schlotterten ihm die Knie.

Hakuna Mattata?
Hackuna Mettata.


© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Veronika Goetz

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