Da muss ordentlich Maggi rein! Lest die Geschichten!

Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!


Jens Wiesner:

Maggi war das Salz in der Suppe der Bundesrepublik. Das Gewürz, das alle anderen Gewürze obsolet machte. Mein Vater hätte diese Aussage sofort unterschrieben, ging doch der erste Griff, wenn seine Frau, meine Mutter, ihm zu Mittag eine Suppe kredenzte, in Richtung des eckigen braunen Fläschchens, das eben jene Würze enthielt, die Julius Maggi laut Wikipedia am 8. Juni 1886 und nicht am 7. Juni 1886 und auch nicht am 9. Juni 1886 als preiswerten Ersatz für Fleischextrakt entwickelt hatte.

Meine Mutter war dann immer erbost: „Zumindest probieren hättest du vorher können!“ rief sie in diesen Momenten der Sollbruchstelle einer Ehe aus, aber es half nichts. Die väterliche Hand hatte sich längst in Bewegung gesetzt und – schüttelschüttelschüttel – mindestens zwei, meist aber drei große Spritzer Maggi in die Suppe befördert, die nach mehrmaligem Umrühren einen deutlich tieferen Farbton annehmen sollte.

Buchstabensuppe, Hühnersuppe, ausgekochte Suppe vom Eisbein – all diese Unterschiede gab es bei meinem Vater nur dem Namen nach, schmeckte doch alles nach der überbordenden Maggibehandlung mehr oder weniger gleich. Nach Bundesrepublik halt, nach Westdeutschland vor dem Mauerfall: bekannt, sicher, bisschen too much drüber, aber bitte: Bloß keine Experimente!Konrad Adenauer hat sicher auch Maggi in seine Suppe getan.

Weiß ich natürlich nicht, ob er das tatsächlich gemacht hat. Bei meinen Onkeln Werner und Wilfried war ich mir da aber sicher. Jedes Mal, wenn sich die drei Brüder und ihre Familien zu Weihnachten zum großen Festmahl trafen, zunächst noch mit meinen Großeltern, dann ohne, spielte sich dasselbe Bild ab. Egal wie wohlpräperiert der erste Gang des Weihnachtsschmauses war, egal wie austariert der Geschmack von der jeweiligen Köchin, die diesmal ‚dran war‘ – Maggi durfte nicht fehlen!

Bisweilen versuchten meine Tanten und meine Mutter, der mutwilligen Zerstörung ihrer kulinarischen Kunst mit billigen Tricks zuvorzukommen. Manchmal hatten sie schlicht ‚vergessen‘, die Würze mit auf den Tisch zu stellen und setzten auf die Faulheit ihrer Ehemänner. Manchmal war die Flasche angeblich gerade leer, sorry, keine Ahnung wie das passieren konnte.

Aber Maggi-Flaschen, das wissen wir alle, gehen nicht leer, die sind wie dieses chinesische Reisbrett, auf dem sich das darauf platzierte Reiskorn bis zur Unendlichkeit verdoppelt. Und für den beherzten Spritzer Maggi standen meine Onkel und mein Vater sogar wieder vom Tisch auf und gingen in die Küche, selbst wenn das erste Bier bereits geöffnet war.

Sicher waren sich die Damen der Familie Wiesner, dass es meine Oma Agnes gewesen war, die den Geschmack ihrer Söhne so verdorben… oder sagen wir besser: konditioniert hatte. Ihr Gewürzregal war – mit heutigen Maßstäben gemessen – durchaus als übersichtlich zu bezeichnen: Salz, Pfeffer – und eben Maggi – bildeten das heilige Triumvirat der Alt-Wiesnerschen-Würzkunst. Gut, ein einsamer Zuber Muskatnuss stand dort auch noch herum, aber der war einzig dem Kartoffelbrei vorbehalten und verblieb ansonsten unangetastet im Schrank.

Ich selber wäre sicher auch dem Maggi-Wahn verfallen, hätte meine Mutter nicht mit Argusaugen darauf geachtet, dass nicht mehr als ein einsamer Spritzer meine Suppe küsste. Mich konnte sie noch formen, bei meinem Vater war da Hopfen und Maggi verloren. Und so verschwand mit meinem Auszug aus dem Elternhaus auch die markant rechteckig-braune Maggiflasche aus meinem Gewürzregal. Auf Tiefkühlpizzen von Doktor Oetker passte die Würzsauce sowieso nicht.


Julia Käding:

© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Julia Käding

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