Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!
Kathrin:

Anja Kern:
Die Weite
Sachsen ist ein plattes Land, aber da ist diese Anhöhe, auf die August schon lange ein Auge geworfen hat. Der ansässigen Bevölkerung war das nichts: Zu karg, zu hoch und vor allem was sollte man da? Von der Aussicht kann man sich auch nichts kochen. Also was zur Hölle will dieser Typ da immer hoch? Aber gut, Verrückte soll man nicht aufhalten, also stiefelte der Junge alle zwei Tage rauf und hatte dann noch ein lächerliches Ledertäschchen mit Malsachen dabei.
August aber träumte…von der Weite, dann von der Ferne und der Entfernung und dann wieder von der Weite und Ferne. Von allem, nur nicht vom hier. Manchmal wurde August ganz schwindelig, wenn er auf seinem Aussichtpunkt stand, sein eigener kleiner Ausguck, den er nach vielen Anläufen zu seinem eigenen und einzigen Lieblingsort auserkoren hatte.
Wenn er von da hinunterschaute, hinein in die Ferne, Tiefe und Weite, dann rauschte es ihm in den Ohren- ähnlich wie er sich das Rauschen des Meeres vorstellte. Aber da war kein Meer. Mur die Leere, die Weite, die Ferne und die Tiefe. Ein unglaubliches Verlangen durchstieß ihn dann immer, ein Verlangen sich hinab zu stürzen in die Tiefe, eins zu werden mit der Weite und zu verschwinden in der Ferne.
Und jedes Mal verlockte es ihn nur noch diesen einen Schritt zu um endlich mehr zu sein, mehr zu fühlen und mehr zu erleben. Doch jedes Mal er seinen Fuß beschämt zurück, nicht heute, nicht jetzt…. Bis klar, dass er es nie wagen würde weiter zu gehen. Was also tun mit der restlichen Zeit, wenn man nie in die Ferne geht, sondern nur in die Höhe? Wenn man keine Zeit hat für die Tiefe der Erfahrungen und nicht eins werden kann mit der Weite?
August also malte, malte sich die Sehnsucht von der Seele, den Wunsch eins zu werden mit dem Unbekannten, ganz in der Weite aufzugehen.
Eine Zeitlang brachte er nichts als Entwürfe hinunter, detailliere Bauzeichnungen von Hütten, Häusern, Villen und ganzen Schlössern gar, die da standen an seinem Ausguckort mit dem Blick in die Ferne. Und der kleinen Versicherung durch Mauern und Geländer und sowieso wer sollte, konnte und dürfte sich da runter stürzen, wenn sie sich zuvor die Mühe gemacht hatte, hier Gemäuer hochzuziehen? Schutz und Entschuldigung lagen hier recht nah beieinander.
Bei den lokalen Handwerkern trafen diese Entwürfe auf Kopfschütteln bis leichte Empörung. Ein Haus?! Da oben?! Was für ein Halodri! And‘re schaffen hier für ihr täglich‘ Brot und der verzogene Spinner träumt von einer Ofenbank am nackten Fels.
Und so träumt und malt August weiter. Die Bilder werden immer filigraner, die Träume intensiver und er verbringt mehr Zeit in der Nähe der Wolken als mit den Füßen am Boden. Bis er eines Tages verschwindet. Kein Zeichen von ihm weit und breit. Auch nicht am Fuß des Aussichtspunktes, der allen Dorfbewohnern schon allzu bekannt ist. Es ist als hätte ihn der Wind davongetragen und er sich nun wirklich aufgelöst in der Weite. Was bleibt sind aberhunderte seiner Zeichnungen so filigran mit Tusche gezeichnet, dass man meint frühe Fotografie in der Hand zu halten. Und willkürlich sucht das Auge das Meer und findet nur die Weite.
© Texte & Bilder: bei den Autoren
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