Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!
Johanna:
Wie wäre es, wenn wir alles umdrehen würden? Wein füllt man vom Gals in die Falschen und trinkt ihn. Abends Frühstück und morgens Abendessen, morgens Elmex und abends Aronal. Die Unterhose auf den Kopf, das T-Shirt um die Beine.
Wie wäre es, erst alt zu sein & dann jung. Auf die Welt zu kommen, Kinder zu haben und dann immer jünger zu werden, immer weniger Lebenserfahrung. Was wäre, wenn man wüsste, was kommt. Wenn alles klar ist, wenn man weiß, wann man stirbt und wann man krank wird. Wie wäre es, wenn man abends aufwacht und morgens einschläft? Wie wäre es, wenn wir alle ganz viel Geld hätten und das Ziel wäre es, so viel wie möglich davon auszugeben?
Na ja den Spaß wollen wir mal nicht umdrehen. Wäre schon deprimierend, wenn alle nur weinen würden. Lustig wäre aber, wenn anstatt Tränen alle pupsen oder rülpsen würden. Oder ist dann Lachen das neue Weinen? Bleiben wir beim Lachen, ohne weinen. Es ginge darum sein Glückskonto bis an den Anschlag zu füllen und es gäbe ein allgemeines Glückskonto. Geht einem das Glück aus, dann kann man es einfach nachfüllen.
Natürlich geht es mir nicht darum, dass allen das Glück aus dem Arsch scheint. Nein. Es geht nicht um Fake Glück, sondern um das, was man erfährt, wenn alles um einen herum egal ist, wenn man Zeit und Raum vergisst, wenn sich der Köper mit ganz viel Klarheit und Zufriedenheit füllt. Wie wäre es, wenn man es in der Schule- ach quatsch, dann im Altenheim lernt, also dieses Gefühl und man könnte es teilen. Man trägt es dann sein ganzes junges Leben wie einen Stein um den Hals, der immer da ist.
Wie wäre es, wenn es darum ginge, seine Verantwortung zu übernehmen. Die Verantwortung für ein wirklich erfüllts und glücklichen Leben. Das zu tun, zu arbeiten, zu erleben, was das Glück erzeugt? Ich weiß schon, wie soll das gehen, dass alle das Glück erfahren können, andere Startchancen bla bla. Aber am Anfang wären ja alle gebrechlich und alt, alle voller Lebenserfahrung und am ende jung und naiv? Wie wäre es, wenn wir Wein aus Falschen, morgens Elmex und abends Aronal als Zahnpasta nehmen würden? Was wäre, wenn wir das Glücklichsein als Kür sehen und die Pflicht, Pflicht sein lassen? Was wäre, wenn wir Erregung öffentlichen Ärgernisses in Erregung öffentlicher Freude verwandeln? Die Welt wäre eine andere.
Jens Wiesner:
Die Geschichte, von der wir heute erzählen, ist keine Geschichte von Krieg und Frieden, von weltbewegenden Ereignissen und großen Persönlichkeiten. In den wichtigen literarischen Sammelbänden wird man sie ebenso wenig finden, wie nachgestellt auf den großen Theaterbühnen dieser Republik. Der Grund ist ein einfacher: Man redet nicht gern darüber, was damals am 12. Juni des Jahres 2008 in der kleinen Gemeinde Q in Südniedersachesen geschah.
Aber bevor wir auf das Ererignis selbst zu sprechen kommen, das sich in das kollektive Gedächtnis Qs eingebrannt hat wie das Arschgeweih in den Steiß von Michael Wendler, schauen wir doch einmal auf die Menschen, die den Ort dieser Geschichte bevölkern.
Man muss ehrlich gestehen: Die Einwohner von Q waren nichts Besonderes – und mit diesem Befund ist keinesfalls Bösartigkeit verbunden. Was der Schreiber dieser Zeilen, der ein ganz ähnliches Dorf seine Heimat nennen durfte damit sagen will, ist folgendes: Hier war die Welt noch sprichwörtlich „in Ordnung“. Der Hahn krähte des Morgens vom Misthaufen herunter, eine einzige Kneipe versorgte jung und alt seit über einem Vierteljahrhundert vornehmlich mit Gerstensaft und Korn, und am Sonntag trieb es den Großteil der Menschen hier zum Gottesdienst, den man weniger als religiöse als traditionelle Pflicht ansah und vor allem deswegen frequentierte, weil während der Predigt das obligatorische Kurzentrinken nebenab in der Kneipe anstand.
23 Jahre lang hatte Pastor Winzig, ein 1,95 großer Hühne aus dem Ostfriesischen, in Q die Messe gelesen und die Menschen mit seinen Predigten weder besonders erbaut noch besonders erbost. Alles lief seinen Gang, alles war gut, bis der Pastor plötzlich abberufen wurde und die gähnende Leere vor dem Altar schnellstmöglich gefüllt werden musste. Denn ohne den Gottesdienst fehlte auch der offizielle Grund für den Absacker – und ohne Grund saufen an einem Sonntagvormittag, das tat man in Q einfach nicht.
Der zuständige Bischof war das Gejaule und Gejammer der durstige Dorfbewohner schnell leid, so dass er bei der Auswahl der Kandidaten die – sagen wir notwendige – Sorgfalt vermissen ließ. Und so kam Martin Büssenwerder nach Q – und man darf wohl feststellen, dass niemand schlechter in dieses Dorf gepasst hatte.
Denn Pastor Büssenwerder war alles das, was die Einwohner Qs nicht waren: Wurst kam bei ihm ebenso wenig auf den Teller wie Käse; deftige Zoten verabscheute er und hielt 20-minütige hochtheologische Bibelexegesen als Predigten ab, die die Gottesdienstbesucher weder verstanden noch verstehen wollten. Am schlimmsten aber: Pastor Büssenwerder hatte nicht nur der Fleischeslust, sondern auch den weiteren dionysischen Freuden entsagt und sogar den obligatorischen Messwein gegen Traubensaft austauschen lassen.
Und er maßregelte doch tatsächlich öffentlich Messbesucher, die versuchten, sich während seiner elegischen Predigten zum „Kirchenkurzen“ in der Kneide davonzustehlen.
So konnte es nicht weitergehen! Und so entwickelten die Damen und Herren des Kirchenvorstands von Q einen infamen Plan. Mithilfe des örtlichen Apothekers brauten sie ein Elexir zusammen, welches sie dem Traubensaft untermischten, von dem Pastor Büssenwerder zu jeder Messe nippte. Die stark aphrodisierende Wirkung dieses Mittelchens, so dachten sie sich, würde den ernsten Gottesmann schon etwas lockerer machen.
So verwundert es kaum, dass, als besagter Sonntag angeborchen war, sich das gesamte Dorf mit Mann und Maus in der Kirche eingefunden hatte. So brechend voll war es, dass es Pastor Büssenwerder fast die Tränen vor Rührung in die Augen trieb. „Endlich“, dachte sich der Gottesmann, „endlich habe ich meine störrischen Schäfchen erreicht.“ Und so fasste er einen Entschluss, um sich von Herzen zu bedanken. Als sich die Messe dem Ende zuneigte und die so genannte Kommunion anstand, ließ er – ausnahmsweise und als besondere Geste der Wertschätzung gedacht – nicht nur Brot, sondern auch den Traubensaft, von dem normalerweise ja nur er kostete, unter den Gemeindemitgliedern verteilen. Und weil jene nicht eingestehen konnten, was sie getan hatten, nippten auch sie vom mit dem Aphrodisiakum versetzten Getränk. Die Wirkung setzte schlagartig ein: Zuerst bei Pastor Büssenwerder, der mit einem beherzten Griff den Muff von 1000 Jahren aus seinem Talar ließ. Aber noch während die Kirchenbesucher ob das seltsamen Bildes, das sich ihnen bot, heftig kicherten, zeigte das Aphrodisiakum auch bei ihnen Wirkung. Über die nächte halbe Stunde und das, was in dem Kirchenhaus geschah, müssen wir an dieser Stelle aus Gründen von Sitte und Anstand den Mantel des Schweigens breiten. Sagen wir nur soviel: in den Städten Sodom und Gomorrah hätte man sich beschämt abgewendet.
Als sich die Nebel der Lust gelichtet hatten, schlichen die Menschen beschämt nach Hause. Pastor Büssenwerder verschwand am nächten Tag und wurde nie wieder im Dorf gesehen. Man erzählt sich aber, dass der Gottesmann tatsächlich Lust an der Lust gefunden hatte und einige Jahre später in Berlin unter neuem Namen einen Nacht-Club eröffnete: das KitKat.
© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Veronika Goetz
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