Volle Blase voraus! Lest die Geschichten!

Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!


Jens Wiesner:

Ich wünschte, ich würde Peter heißen. Einfach nur Peter. Oder vielleicht Michael oder Daniel. Mit einem Jörg könnte ich mich auch noch ohne Probleme anfreunden. Selbst ein Hermann oder ein Balthasar ginge in Ordnung.

Aber ich heiße nun einmal Urin. Ja, Urin. Mit Betonung auf der ersten Silbe und nicht auf der zweiten. Darauf lege ich Wert, wie Sie sicher verstehen. Aber in der Grundschule macht dieses Detail den Braten auch nicht mehr fett. In der Mittelstufe übrigens auch nicht. Selbst auf dem Gymnasium bleiben die unvermeidlichen Sprüche nicht aus. Blasenblag haben sie mich genannt. Eigentlich ganz schön kreativ…

Aber versuchen Sie mal, mit so einem Namen Karriere zu machen. Hab ich dann auch nicht. Mein Berufsberater vom Arbeitsamt wollte mir unbedingt eine Karriere als Urologe ans Herz legen, der alte Scherzbold. War ich dann einmal und nie wieder. Bei meinem letzten Vorstellungsgespräch in einer lokalen Bankfiliale hab ich dann dem Personaler meine Faust ins Gesicht gesemmelt, als der mich fragte, ob meine Lieblingsfarbe denn Gelb wäre. Das war’s dann mit dem Job. Bin halt ein bisschen dünnhäutig geworden, Sie verstehen.

Warum mich meine Eltern so genannt haben? Keine Ahnung! Vielleicht wollten sie lustig sein, was weiß ich. Ich habe mal gegoogelt. Laut Namenspedia gibt immerhin zehn Urins auf der Erde: drei in den USA, drei in Russland, zwei in Thailand und immerhin noch einen in Malaysia und Indonesien. Ich bin also nicht ganz alleine auf der Welt. Aber in Deutschland einzigartig. Ein zweifelhaftes Vergnügen.

Auf WG-Partys habe ich gern mal gesagt, dass Urin mit Betonung auf der ersten Silbe „Frieden“ bedeute – in einem ostisraelischen Dialekt. Stimmt aber nicht. Urin bedeutet nichts. Außer eben das, was Urin mit Betonung auf der zweiten Silbe bedeutet.

Manchmal überlege ich, wie es wäre, wenn ich meinen Namen ändern lassen würde. Wie gesagt: Peter wäre schön, oder Michael, irgendetwas stinknormales, einfach, um mal in der Masse verschwinden zu können. Ich stand sogar schon einmal vor dem Rathaus, mit Termin und Geld in der Tasche und so. Aber dann bin ich doch nicht rein. Ich bin nun mal Urin – auch wenn der Name echt kacke ist.  


Mely Beans:

Es war der 9. November, als die Blase platzte. Irgendwie passiert in Deutschland alles am 9. November, also war es nur sittengetreu, dass sich auch mein Trauerspiel an hiesigem Tage ereignen würde.
Aber lasst mich euch doch erst mal vorstellen. Mein Name ist Salomé Rosenkranz und ich bin Wehmutter von Beruf. Andere Menschen sagen auch Hebamme dazu, doch fehlt mir dieser gewisse Hauch an dramatischer Eleganz in der herkömmlichen, plumpen Bezeichnung meines Berufstandes. Deshalb beharre ich auf das Wort meiner Vorgängerinnen, auch wenn ich Gefahr laufe, der Extravaganz beschuldigt zu werden, aber mit dies kann eine Etymologieamateurin wie ich leben.
Wehmutter bin ich also.

Mutter zu werden tut ja auch weh.
Und wie.
Habt ihr das schon mal gesehen?
Die Scheidenfleischlappen werden nach Ost, West, Nord, Süd und in drei weitere Dimensionen des Universums aufgespreizt, sodass auch schließlich der Schließmuskel diesem Riss des Raum-Zeit Kontinuums keinen Widerstand mehr leisten kann, bis dann endlich plup, eine nackte Alienechse in die Scheiße ihrer Gebärerin rutscht. Der erste Atemzug mündet, wenn es gut läuft, fäkalienlos durch erste Gewalteingriffe in einen schrillen Schall der Existenz, der im Laufe des Lebens immer mehr nach innen wandert, bis er versiegt.
Dieses Spektakel, dieses Debakel, all das beginnt mit einer geplatzten Blase.
Mit einem geplatzten Traum.

Denkt ihr etwa, ich wollte Wehmutter werden?
Denkt ihr etwa, ich wollte meine Finger zwischen den Ebenen Leben und Nichts schieben?
Unter Hochdruck, Zeitdruck, Schweiß und Fleiß mühsam kleine Engel aus dem Universum als homo sapiens in unseren Asphaltdschungel ziehen?
Und wenn der Umzug mal nicht klappt? Wenn die Seele sich nicht überzeugen ließ?
Dann stehen schnell graue Herren in grauen Anzügen und graue Frauen in grauen Bleistiftröcken vor mir, um mich ins graue Verhör zu nehmen.
Ich habe mich wohl verhört. Das ist Diffamierung!

Unfälle sind keine Zufälle, das Leben aber schon!
Ich kann nichts dafür, dass die Blase zu früh platzte und ihre Frau es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft hat!
Ja, das stimmt, wir hätten früher schneiden können, aber…. Hey, nein, das habe ich nicht gesagt! Das war kein Geständnis, wofür denn? Ja, ich benutze homöopathische Mittel gelegentlich, aber nicht… Wieso? Ich zahle doch meine Versicherung deswegen und ich zahle doch meine Steuern für den Rechtsstaat, aber… bitte, reden Sie doch mit Herrn Doktor Wegner, der kann bezeugen, wie? Was hat er gesagt? Nein… Also…. Bitte…. Lassen Sie mich doch erklären….

Es war der 9. November,
als diese verdammte Blase platzte.


Chris Tomsche:


© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Kaddi Mendler

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