Galoppade ins Glück! Lest die Geschichten!

Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!


Mely Beans:

Es war eine laue Sommernacht und die Grillen ertönten über das ganze Feld. Ist das ein Schreien? Haben sie Schmerzen? Können Insekten überhaupt leiden? Oder singen sie? Können Insekten überhaupt singen? Das würde ja irgendwie bedeuten, dass sie Kunst und Schönheit verstünden. Das es Nacht ist verstehen sie aber, denn am hellen Tag sind sie bekanntlich still. Einen Sinn für Farben müssen sie damit wohl haben, denn sie erklingen erst bei einem königsblauen Himmel mit einem letzten weißgelben Streifen am Horizont – der kleine Überbleibsel der sonst so grellen Sonne: sonst so groß, protzig, kräftig, brennend, doch auch sie verschwindet jede Nacht zu einem Hauch von Nichts und wird vom unscheinbaren Mond abgelöst. Der ruhig, melancholisch über den Dächern meines Heimatdorfes lungert, zaghaft sich durch die Fenster wagt oder durch die Ritzen der Holzställe sich durchschlängelt, um Streifen auf die Rücken der Pferde zu malen.

Diese Nacht saß ich wieder im Stall und sah auf das Licht-Schattenspiel des Mondes und freute mich jedes Mal, wenn ich eine neue Kuhle entdeckte durch die der Strahl ringsherum wanderte, oder eine unscheinbare Schraube, die in seinem Glanze, Figuren warf, die miteinander tanzten. Ob ich wohl auch irgendwann mal tanzen werde? Wenn ich groß bin, auf so einem richtigen Ball? Gibt es das überhaupt?

In diesem Stall gibt es lediglich Schattenbälle und das auch nur, wenn mein Gehirn hier ist. Sonst gibt es hier nämlich nichts. Nichts außer Mist, der ausgemistet werden muss. Nichts außer Wäsche, die gewaschen werden muss. Nichts außer Staub, der abgestaubt werden muss. Nichts außer Arbeit.

Meine Mutter sagt ich sei faul, da ich bei jeder Aufgabe frage, wieso das denn nötig sei, anstatt sie einfach zu machen. Faul und unanständig. Nervig obendrein. Warum könne ich denn nicht so sein, wie die Tochter, die sie nie hatte? Warum könne ich denn nicht einfach mal das tun, was mir gesagt wurde?

Aber ich tue das, was mir gesagt wurde, nur höre ich eben auf andere. Ich höre nicht auf die Stimmen der Schulen und des Pfarrers, ja nicht mal auf die meiner Mutter, die ja auch nur das widergibt, was ihre Schule und ihr Pfarrer ihr gesagt haben. Ich möchte aus dieser Echostimmenschleife des Unterwurfs ausbrechen und Neues hören. Oder ganz, ganz Altes. Vergessenes.

Ich höre auf den Wind, der mich als zarte Brise an die Hitze der Sonne auf meiner Haut erinnert oder als heftiger Stoß auf die maroden Dachziegel aufmerksam macht.

Ich höre auf die Grillen, die mir zeigen, dass es Zeit ist zu Ruhe zu kommen, sich zurückzuziehen, bevor die Mücken kommen und mich morgen meine nächtliche Entdeckungstouren bereuen lassen.
Ich höre auf die Vögel, um die Schönheit des Festlandes nicht zu vergessen.
Ich höre auf das Wasser, die sprudelnde Quelle und die fließende Natur des Lebens.

Nichts ist so wie es einmal war. Nichts ist so, wie es einmal sein wird. Aber Schule und Pfarrer bestehen darauf, dass es so ist, wie es ist.
Nachts ist es aber immer ganz anders, denke ich mir auf meinem Heuhaufen im Stall. Die Schattenfiguren tanzen immer noch die Wände entlang, doch die Rückenstreifen der Pferde galoppieren den Mondschein zurück nach draußen. Draußen ist das Glück, aber nur wenn die Sonne nicht alles kaputt macht. Jedes Loch, das geflickt werden muss, jeder Fleck, der geputzt werden muss, und jeder noch so kleiner Makel, der nicht so ist, wie es eben ist, wird ans Tageslicht gebracht und muss bearbeitet werden. Begradigt. Ausradiert. Übermalt. Gestopft. Geleert. So, wie es eben ist.
Nachts aber, ist im Licht-Schattenspiel des Mondes alles vollkommen. Sie sind vollkommen, denn die Bilder werden nicht von der Sonne, sondern von meinem Gehirn gemalt. Ich darf das. Nachts. Nachts tanzen Schattenfiguren ins Verderben und Lichtstreifen galoppieren ins Glück. Meine Gedankengaloppade. Meine Freiheit in der Nacht. Mein Verhängnis am Tag.


© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Jens Wiesner

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