Der Knick im Hut, grüß Gott, grüß gut: Lest die Geschichten!

Was kommt dabei rum, wenn man einfach drauflos schreibt? Hier veröffentlichen wir alle Kurzgeschichten, die ihr uns geschickt habt. Sucht nach dem Rest unter #erregungoeffentlicherfreude (Facebook / Instagram) bzw. #erregungöffentlicherfreude (Facebook / Instagram) in den Sozialen Medien!


Jens Wiesner:

Früher, noch bevor Flugzeuge in der Luft herumdüsten und Bits und Bytes durch das Internet geschossen wurden, da lebte Hutmacher Immanuel in seiner kleinen Hütte am Rande der Zeit. Immanuel war ein gedrungener Mann mit einem enormen Schnurbart, den er einmal rings um seinen Kopf geflochten und am Hinterkopf zusammengeknotet hatte. Diese doch etwas wunderliche Bartfrisur behinderte ihn ein wenig beim Sprechen, so dass alles, was Immanuel sagte, klang, als gäbe es in seiner Welt keine Vokale, sondern nur Konsonanten.

Wenn er die Menschen grüßte, dann sagte er: „Grüß Gott, die Herrschaften und Damschaften!“ Für ein normales Ohr klang es aber eher nach: „Grßgttdhrrschftnndmschftn!“ Manche Leute hielten den Hutmacher deshalb für etwas grummelig, aber das stimmte nicht. Immanuel war nämlich eine Frohnatur, dem die Sonne nur so aus dem Allerwertesten schien. Natürlich tat sie das nicht wirklich, denn dann hätte sich Immanuel ja sofort böse den Hintern verbrannt. Sagt man halt so.

Apropos Hintern. Auf den hatte Petersilia, die auch am Rande der Zeit lebte und Immanuels Nachbarin war, ein Auge geworfen. Oder sagen wir besser: auf den Sonnenschein, der diesem Hintern entstrahlte. Denn Petersilia mochte drei Dinge besonders: Hintern, Bärte und Hüte – am besten solche, die an Frohnaturen klebten. So könnte man sagen, dass Immanuel und Petersilia praktisch füreinander geschaffen waren, wenn man an das seltsame Konzept von Vorherbestimmung glaubte, was der Autor dieser Zeilen aber nicht tut. Nennen wir es also Zufall, dass die beiden zueinander fanden.

Beim ersten Aufeinandertreffen hatte sich ihre Konversation noch auf einen kurzen Austausch von Grußfloskeln beschränkt. „Grüß Gott!“ hatte Petersilia gerufen und Immanuel, der gerade mit dem Hutmachen beschäftigt war, hatte kurz aufgesehen und frohgemut „Grßgtt!“ geantwortet. „Was für ein sexy Bart!“ hatte Petersilia noch gedacht und „Was für ein knackiger Arsch!“und „Was für ein stylisher Cowboyhut!“ und „Was für ein fröhlicher Mensch!“.

Doch dann war sie verschüchtert weitergegangen – einmal über die Zeit hinüber zum Wasser holen und dann wieder zurück. Auf dem Rückweg hatte sie dann allen Mut zusammengenommen, aber statt einer Einladung zum Picknick war nur ein weiterer Gruß aus ihr hinausgebrochen: „Grüß Gott!“ hatte sie wieder gesagt – und Immanuel hatte wieder aufgeschaut, nun etwas länger und leicht verwirrt den Gruß wiederholt: „Grßgtt!“

„Verflixtnochmal!“ hatte sich Petersilia zuhause geärgert. Warum war sie nur so schüchtern! Am nächsten Tag versuchte sie es wieder und am übernächten Tag und an dem Tag darauf noch einmal. Doch es blieb bei dem immer gleichen Ritual. Petersilia grüßte und Immanuel grüßte vokalfaul zurück. Auch er hatte Gefalllen an seiner Nachbarin gefunden, wollte sich aber nicht aufdrängen.

So zogen die Tage ins Land, bis Petersilia irgendwann ein kluger Gedanke kam. Sie wollte ihre Einladung einfach schriftlich formulieren. „Willst du mit mir am Rande der Zeit picknicken?“ schrieb sie auf einen Zettel – und als sie beim nächsten Mal beim Hutmacher vorbeiging und grüßte, steckte sie ihm heimlich, als der nicht hinsah, ihren Zettel in den Knick seines Cowboyhutes. Ihm den Zettel direkt zu geben – und ihm dabei in die Augen sehen zu müssen, das konnte sie sich nämlich erst recht nicht vorstellen.

Am nächsten Tag spazierte Petersilia wieder zu Immanuel, grüßte – und der Hutmacher, der den Zettel tatsächlich gefunden und sich sehr gefreut hatte, sagte: „Grß Gtt, abr shr grn mcht ch mt dr pcknckn“. Aber Petersilia verstand nur Genuschel und zog enttäuscht weiter.

Das machte den Hutmacher sehr traurig und er überlegte schon, ob er seinen Bart abrasieren sollte, um deutlicher sprechen zu können. Aber nein, dachte er sich, der Bart gehört zu mir, ich muss mir etwas anderes überlegen. Und so schrieb er seine Antwort ebenfalls auf einen Zettel, steckte ihn deutlich sichtbar in den Knick eines Hutes, den er extra für seine Nachbarin gefertigt hatte, und überreichte ihr das Geschenk mit stummem Strahlen.

Und so geschah, wie es vorherbesti… ähh der Zufall so wollte. Petersilia las den Zettel, die beiden gingen am Rande der Zeit picknicken, blieben gemeinsam dort und der Hutmacher schenkte Petersialia viele Hüte. Irgendwann starben die beiden, aber bis dahin waren sie sehr glücklich – auch wenn sie niemals ein Wort miteinander wechselten. Wenn der eine dem anderen etwas sagen wollte, dann zückten sie einfach ihre Stifte, schrieben sich gegenseitig Zettel und steckten sie dem anderen in den Knick des Huts.


Kaddi Mendler:

Kaddi Mendler

© Texte: bei den Autoren
© Illustration: Kaddi Mendler

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